Von Herzblut getragen. Im Eishockey zuhause.
 Tino Boos: „Der Schutz des Spielers ist mir wichtig!“
02.02.2017Bild: City Press

Tino Boos: „Der Schutz des Spielers ist mir wichtig!“

Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses im Gespräch mit del-2.org

Seit dem 01. August 2015 ist Tino Boos der Vorsitzende des Disziplinarausschusses. Der ehemalige Profispieler kann auf eine lange Karriere zurückblicken und bringt nun seine Geschicke und die Sicht eines Spielers in seinen Job ein. Seit gut anderthalb Jahren ist der gebürtige Düsseldorfer schon der Vorsitzende des Gremiums. Del-2.org nahm dies zum Anlass und sprach mit Boos über seine Entscheidung den Vorsitz zu übernehmen und über die Aufgaben des Disziplinarausschusses.

Tino Boos, Sie waren über 20 Jahre Profi-Eishockeyspieler und waren nach Ihrer Karriere auch als TV-Experte unterwegs. Seit dem 01. August 2015 sind Sie nun im Ligabüro tätig und der Vorsitzende des Disziplinarausschusses. Wie kam es zu der Entscheidung?

Ich hatte die Anfrage den Disziplinarausschuss zu führen. Meine erste Reaktion war: Nein, das mache ich auf keinen Fall. Denn ich hatte keine Lust Spieler zu sperren und ihnen das Geld abzunehmen. Aber ich habe dann nochmal darüber geschlafen und das Interesse wurde bei mir größer. Die US-Amerikaner nennen es „Department of Player Safety“ – also Spielerschutz. Ich habe selber oft genug Probleme mit den Entscheidungen des Disziplinarausschusses gehabt. Ich habe auch Kinder, die Eishockey spielen. Von daher ist der Gedanke gereift, dass man sich aus der Verantwortung nicht entziehen kann. Sondern es eine gute Möglichkeit ist, auf der Geschäftsstelle der DEL und im Endeffekt auch der DEL2 mitzuwirken und Sachen vorantreiben zu können. Daher hat sich mein Blickwinkel auf die ganze Sache geändert. Wir sind dann auch relativ schnell mit DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke übereingekommen und so ging es auch einher, dass ich den Vorsitz des Disziplinarausschusses - auch für die DEL2 - mit übernahm.

Gerade Ihre Erfahrung als Spieler können Sie sicherlich gut einbringen?

Sicher sehe ich es auch aus der Spielersicht, was auch manchmal kritisch für die Jungs ist, die einen Check bekommen. Es ist schon paradox, aber man hat einen anderen Blickwinkel. Ich habe 21 Jahre Profi-Eishockey betrieben, auch international. Da kann mir niemand etwas vormachen. Nichtsdestotrotz sind es Entscheidungen, die im Grau-Bereich liegen, wo jeder verschiedene Blickwinkel besitzt. Jeder hat eine andere Wahrnehmung bei einem Foul. Dies macht die ganze Sache nicht leichter, aber auch ein bisschen interessanter.

Viele hören vom Disziplinarausschuss, aber nicht jeder weiß über diesen Bescheid. Können Sie Ihre Tätigkeit bitte beschreiben?

Im Großen und Ganzen geht es um den Spielerschutz. Wir verhandeln – auch in der DEL2 – alle großen Strafen. Das heißt, jede „fünf plus Spieldauer“ wir von uns verhandelt. Die Schiedsrichter müssen nicht mehr entscheiden, ob es eine Spieldauer oder Matchstrafe ist. Bei der Schnelligkeit des Spieles ist es auch schwierig es auf Anhieb zu sagen. Es gibt aber auch Matchstrafen, die geahndet werden müssen, wo mindestens ein Spiel Sperre folgt. Dazu gehört zum Beispiel das Beißen, Slew-Footing, Kopfstoß, Tätlichkeit gegen einen Schiedsrichter oder Zuschauer sowie das Spucken. Ansonsten muss ich das Regelbuch heranziehen. Denn keiner kann die Bestrafung nach Lust und Laune aussprechen. Das Regelbuch ist dazu enorm wichtig, aber auch der sportliche Gedanke. In dem Disziplinarausschuss sind wir drei Personen. Ich wollte gerne eine Balance haben. Es sind immer zwei ehemalige Spieler und ein ehemaliger Schiedsrichter. Wir entscheiden dann, ist es eine Strafe, wo die Spieldauer ausreichend ist – dann wird das Verfahren eingestellt. Oder wenn es mehr als eine Spieldauer ist, wird dann verhandelt wie hoch die Strafe für den Spieler sein wird.

Auch Clubs haben die Möglichkeit Verfahren nachträglich zu beantragen. Wie verhält es sich hierbei?

Es ist so, dass die Clubs bis zum nächsten Mittag 13:00 Uhr nachträglich Zeit haben, ein Verfahren einreichen zu können – wie bei Gericht. Allerdings ist hier die Beweislast umgekehrt. Wenn der Referee eine Tatsachenentscheidung trifft und sagt dieses Foul hat stattgefunden, dann ist dieser Verstoß gegeben. Wenn es aber der Club sagt, dann muss dieser beweisen, dass ein Foul vorliegt und es eine Matchstrafe ist. In der DEL2 ist es so, dass nur Fouls eingereicht werden können, die komplett ungeahndet blieben. Dann wird alles eingeschickt und mit den Beweismitteln, die wir zur Verfügung haben, starten wir ein Verfahren. Wir versuchen auch noch selber Beweismittel zu sammeln, die wir noch bekommen können. Das wird dann genauso verhandelt und wir treffen eine Entscheidung.

Gerade die nachträglichen Sperren sorgen oft für Aufsehen. Viele Fans sehen die Schwere einer Verletzung und verstehen die Höhe der Bestrafung bzw. die Anzahl der gesperrten Spiele des Verursachers nicht. Jedoch kann eine Sperre nicht an der Ausfallszeit eines Spielers gemessen werden. Wie gehen Sie in solchen Situationen vor?

Das ist genau die Krux des Ganzen. Es gibt kleine Fouls mit schweren Verletzungen, es gibt Verletzungen ohne Fouls und genauso schwere Tätlichkeiten ohne bzw. nur mit kleineren Blessuren. Und genau das ist das Problem. In der Regel sollen wir die Aktion an sich bestrafen – und daran halten wir uns eigentlich auch. Eigentlich ist an dieser Stelle schon eine Einschränkung. Ein Foul mit Verletzung ruft natürlich mehr Emotionen hervor. Hier muss darauf geachtet werden, ob das Vergehen so rücksichtslos gewesen ist, dass eine Verletzung billigend in Kauf genommen wurde oder nicht. Wenn ja, dann muss der Verursacher auch für die Konsequenzen haften und mit einer höheren Strafe rechnen, wenn der Gefoulte verletzt wurde. Genauso wird darauf geachtet, ob es sich um einen Wiederholungstäter handelt oder nicht. Wenn derjenige schon mal in dieser oder der vergangenen Saison mit einer Matchstrafe belegt wurde, dann erhöht sich das Strafmaß. In der Slowakei gibt es zum Beispiel das System, wenn der gefoulte Spieler länger als sieben Tage ausfällt, wird der Verursacher für drei Monate gesperrt. Nach sechs Wochen kann derjenige noch einmal begnadigt werden, wenn die Verletzung doch nicht so schlimm war. Das ist auch eine Möglichkeit, aber für mich im Endeffekt nicht fair.

Sie sind neben den Schiedsrichteraussagen auch auf TV-Bilder angewiesen. Ist SpradeTV dabei eine große Unterstützung?

Absolut - enorm wichtig! Mittlerweile bekommen wir aus allen DEL2-Stadien gute Bilder. Klar würde ich mir noch mehr Kameraperspektiven wünschen, praktisch aus jedem Winkel, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Sie sind nun schon gut anderthalb Jahre in Ihrem neuen Job tätig. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück und was gibt es noch zu optimieren?

Ich schau mir alle Fouls auf dieser Welt an und man baut sich auch sein Netzwerk auf. Es gibt einen regen Austausch, es ist schon ein internationaler Standard, den es da gibt. Für jede Liga gibt es sicherlich immer eine andere Wahrnehmung, denn jede Liga ist anders. Wir haben einen guten Rahmen, aber wir entwickeln uns auch weiter. Es gibt immer neue Sachen, die dazukommen. Mit der Entwicklung der Spielerdisziplin bin ich bis dato zufrieden. Wir haben jetzt im zweiten Jahr hintereinander rückläufige Zahlen, was schwere Fouls, Sperren oder auch große Strafen angeht. Mir ist es wichtig, für die „Sicherheit“ der Spieler zu sorgen, daher freue ich mich über diese Tendenz. Nichtsdestotrotz darf man es auch nicht schleifen lassen, denn es kann schnell wieder in die andere Richtung gehen. Emotionen gehören zum Spiel. Ich weiß selbst, dass als Spieler auch manchmal die Vernunft ausgeschaltet wird. Daher ist es immer wichtig aufzupassen und zu schauen, in welche Richtung es gerade geht.

Link teilen: